Die Rückkehr des alten Grabkreuzes von 1723
Liebe Mitglieder und Freunde des Alten Bad Nauheimer Friedhofes,
das Jahr 2023 war ein besonderes Jahr, weil das sagenumwobene, in Originalkopie kunstvoll rekonstruierte Bad Nauheimer Grabkreuz, aus der Hand des Kunstschmiede-Meisters Rüdiger Schwenk,
Aarbergen, auf den Tag genau am 18.04.2023 nach dreihundert Jahren dorthin zurückkehrte, wo es ca. 200 Jahre stand: zuerst auf dem „Alten Totenhof“ der Vorgängerkirche der heutige Wilhelmskirche,
und seit 1938 im südlich erweiterten heutigen „Alten Friedhofes“ im Eingangsbereich. Vor etwa 100 Jahren ist es in den Nachkriegswirren des 1. Weltkrieges verschwunden. Es lohnt sich auf unserer
Homepage nachzulesen, wie das „Nauheimer alte Grabkreuz von 1723“ schließlich doch überlebte.
Mit der Rekonstruktion des Grabkreuzes wurde eine Frau in ihren Aufzeichnungen zum Alten Friedhof wieder gegenwärtig, die als Bad Nauheimerin in ihrer gesellschaftlichen Wahrnehmung nie die Toten
der Stadt und der hier verstorbenen Kurgäste außerhalb des Gemeinwesens sah: Dr. Elisabeth Kredel. Sie und die dort Bestatteten waren Teil ihres Lebens, was sie u.a. in sehr würdevoller Weise in
ihrem Aufsatz „Der alte Bad Nauheimer Friedhof vor 50 Jahren“, Wetterauer Geschichtsblätter Bd. 17, im Rückblick 1968 (nach ihrer Pensionierung im Schuldienst und zu anderen Anlässen) immer
wieder zum Ausdruck brachte.
Was liegt näher, zu versuchen, in einer kurzen Biographie ihre Person und ihr Werk uns näher zu bringen. Uns als Verein war und ist sie wichtig, weil wir durch ihre Nähe zu den genannten Toten
Orientierung für unsere Arbeiten auf dem Alten Friedhof bekamen.
Mir fallen einige Frauen ein, die im Stadtbild nicht fehlen dürften - die aber fehlen, weil sie beinahe vergessen sind. Zu ihnen gehört Oberstudienrätin Dr. Elisabeth Kredel. Manchem Alt-Bad-
Nauheimer ist sie noch in Erinnerung. Sie wurde in unserer Stadt 1901 geboren, als Tochter des damaligen Rektors der Stadtschule (zu dieser Zeit noch im Gebäude des „heutigen Rathauses“ in der
Friedrichstraße). Zu ihrem Vater Johann Adam schien sie ein besonders enges Verhältnis zu haben, wie sie sich mit ihrer „Vater“ Stadt stets innig verbunden fühlte: So stiftete sie gemeinsam mit
ihrer Schwester Lina nach dem 2. Weltkrieg eine Glocke der Dankeskirche, mit Widmung an ihre Eltern. Noch kurz vor ihrem Tod 1999 vermachte sie dem Förderverein der Stadtschule an der
Wilhelmskirche eine größere Summe zum Gedenken an ihren Vater, der die Schule mehr als zwanzig Jahre geleitet hatte.
Elisabeth Kredel bestand 1920 auf der Augustinerschule in Friedberg ihr Abitur. Anschließend studierte sie Neuphilologie (wissenschaftliche Betätigung mit den gegenwärtigen und in der jüngeren
Vergangenheit gesprochenen Sprachen – Französisch und Englisch) in Gießen und Marburg, sowie Alte Geschichte. Schon 1923 wurde sie zur Dr. phil. promoviert.
Im Jahre ihres 92. Geburtstages, das auch das 70. Promotions-Jubiläum war, wird ihr eine besondere akademische Ehrung zuteil: die Erneuerung ihres Doktor-Diploms durch den Fachbereich der JLU
Gießen (Uni-Forum 09.12.1992).
Im Bericht der WZ (17.07.1999) zu ihrem Tode heißt es: Ein außergewöhnliches Leben ist still zu Ende gegangen. Dr. Elisabeth Kredel ist … im Haus Hildegard (ehemals Luisenstr.) sanft entschlafen,
wo ihr in den letzten Lebensjahren liebevolle Pflege zuteilgeworden war. Sie wurde auf dem Kernstadt-Friedhof Bad Nauheim bestattet.
„Ihrer Zeit weit voraus?“ - das war Elisabeth Kredel zweifelsohne. Was war aber ihre Rolle als Frau? Und hat sich ihr Leben tatsächlich in einem „begrenzten Raum“ abgespielt, wie Frau von Prosch
ausführt (WZ 17.11.2023)?
Auch 70 Jahre später sind für Prof. Dr. Dietmar Rieger, emeritierter Professor der Romanischen Literaturwissenschaft an der JLU Gießen (Uni-Forum, 09.12.1993), die umfangreiche und fundierte
Dissertation und auch die folgenden lokalgeschichtlichen Beiträge erwähnenswert: „Die umfangreiche Arbeit (der Dissertation) zeugt ... von einem für eine Studentin von 22 Jahren auch vor 70
Jahren nicht alltäglichen wissenschaftlichen Impetus und einer nicht minder erstaunlichen gewaltigen Belesenheit der Verfasserin.“ Vor allem dem unermüdlichen Wirken des vorwiegend
sprachwissenschaftlich arbeitenden Ordinarius Dietrich Behrens (1859-1929), der Elisabeth Kredel 1925 zu seiner Assistentin (als erster Frau!) im Fachbereich machte, und anderen sei es zu
verdanken, „dass Gießen in der internationalen Vorkriegsromantik einen sehr guten Ruf genoss“.
Elisabeth Kredel ist eine davon, sie war und blieb „Wissenschaftlerin“! Ditmar Rieger schreibt rückblickend: „Heute hätte Dr. Elisabeth Kredel zweifellos die Laufbahn einer Hochschullehrerin
einschlagen können. Ihre außerordentlich kompetenten wissenschaftlichen Beiträge während ihrer Assistentinnen-Zeit (1925-1931) unter ihrem Lehrer und Förderer Dietrich Behrens und nach seinem Tod
(1929), lassen vermuten, dass ihr Zögern, die Hochschullaufbahn einzuschlagen, möglicher Weise in der sich abzeichnenden politischen Entwicklung auch und im Besonderen an der Universität zu sehen
ist. Kredel geht erst 1935 in den Schuldienst - mit Zögern! Weiblicher Intellekt war in der Nazi-Zeit nicht gefragt. Die Nationalsozialisten standen einer Berufstätigkeit und akademischen Bildung
von Frauen ablehnend gegenüber. 1933 lag die Frauenquote vorübergehend bei 10 Prozent an Schulen und Hochschulen. Frauen verloren das passive Wahlrecht und wurden aus dem öffentlichen Dienst
gedrängt. Habilitationen wurden nicht mehr zugelassen.
Dr. Elisabeth Kredel muss als Frau „starke“ Eindrücke hinterlassen haben, um nach ihrem Tod bei der Präsentation von 12 auserwählten (auch ehemaligen) Universitätsangehörigen mit dabei zu sein,
„die als Vorreiterinnen an der Gießener Universität studierten, promovierten und forschten“, siehe Broschüre:
„Wissenschaftlerinnen der Universität Gießen: Unkonventionelle Wege verändern die akademische Welt“ vom Büro der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten, Gießen, zum Internationalen Frauentag
anlässlich 100 Jahre Frauenwahlrecht 2018/2019 präsentiert! Die Wissenschaftlerinnen stünden, gemeinsam mit vielen anderen Frauen, gegen gängige Rollenzuschreibungen und für ein Recht auf gleiche
Bildung ((Prof. Dr. Verena Dolle, 2019).
Im Einladungsgrußwort zu ihrem 90. Geburtstag (26.10.1991) spricht Kredel von Vertrautheit mit mehreren Generationen – nicht nur mit Zeitgenossen ihrer Vaterstadt Bad-Nauheim, „sondern auch mit
den auf dem Alten Friedhof ruhenden des 19. Jahrhunderts, die den Wandel vom Dorf zum Weltbad miterlebt und mit geschaffen haben.“ Über den Alten Friedhof schreibt sie 1968 in den Wetterauer
Geschichtsblättern, Bd. 17, „Der Alte Friedhof vor 50 Jahren“, (vergriffen): „Fast täglich führte unser Weg durch diesen Bezirk, zu dem wir (sie und ihre Schwester) bald ein persönliches
Verhältnis gewannen, obwohl keiner unserer Vorfahren hier begraben ist.“
Weitgehend unbekannt ist, dass Kredel wohl noch in ihrer Assistentinnen-Zeit 1930/1931 eine größere Untersuchung „über die lateinischen und deutschen Grabschriften Gießener
Universitätsangehöriger des 17. und 18. Jahrhunderts“ auf dem dortigen Alten Friedhof veröffentlichte – eine Arbeit, die, wie Rieger schreibt, „unser aller Hochachtung verdient, da sie vieles von
der Geschichte der Universität Gießen festhält und erklärt ..“(siehe Uni-Forum). - Nach ihrer Schuldienstzeit an der Schillerschule (damals Mädchen-Gymnasium) in Friedberg (1935 - 1965) beginnt
sie mit der „Nachzeichnung“ der Gräber des Bad Nauheimer Alten Friedhofes überwiegend aus der Erinnerung vor 50 Jahren: „Mit ihrer Schrift (1968) wolle sie diese Stätte noch einmal entstehen
lassen, zugleich aber auch versuchen, denen, die sie nicht kannten, eine Vorstellung von ihr zu geben .. . Der Alte Friedhof war Teil ihres Lebens, „dessen Untergang und ‚Entwürdigung‘ durch die
Verlegung der Kerb an diesem Ort sie bis zuletzt tief berührte“ (WZ 17.07.1999 anlässlich ihres Todes).
Ihnen zum bevorstehenden Weihnachtsfest besinnliche Tage, für 2024 vor allem Gesundheit, und Gemeinsamkeit im Interesse unseres ehrenamtlichen Engagements,
Ihr Martin Fink (Vereinsvorsitzender)